Die Haare und die Chemo
Mir wurde von der Ärztin und von meiner Nachbarin im Zimmer bei der ersten Therapie prophezeit: die Haare fallen spätestens nach der 2. Chemo Therapie aus. Ich stelle mir immer vor, wann und wie es wohl mit dem Haarausfall losgeht und versuche mir jetzt eine gebrauchte Haarschneidemaschine zu kaufen. Denn ob ich so spontan einen Termin bei einer Frisörin bekomme?? Lieber habe ich eine so eine Haarschneidemaschine zuhause. Das Ding heißt so. Ein Rasierer ist wohl eher nur für den Bart, Achselhare und co. Diese Haarschneidemaschine (sieht aus wie ein Rasierer) kann bis zu 0,1 cm eingestellt werden. Sollte reichen für eine Glatze. 😉
Dann heißt es Wirbelsäulen- und Schultermobilisation, Kopf über doie Duschwanne und selber ran.
Wie wird das wohl sein? Muss ich weinen?
Es ist dann für jeden sichtbar. So endgültig. Die Haare sind weg. Ich sehe mich immer im Spiegel, es wird bestimmt kalt. Habe mir schon ein paar Mützen gekauft. Ich habe schon einige, da mein Köpfchen schon immer kälteempfindlich ist. Bei Minusgraden habe ich eh schon meist 2 Mützen auf. Nun dann noch die dritte?? Ich habe viele Buffs, diese Schläuche. Kann als Stirnband, Halstuch oder als Mütze getragen werden. Je nachdem, wie du sie „faltest“. Bin gespannt.
Aber: es ist Winter, die Menschen in meinem Umkreis kennen mich draußen eh nur mit Mütze. Auch im Frühjahr oder Herbst habe ich eh schon immer eine dünne Mütze auf.
Eine Perrücke? Nein. die möchte ich nicht. Ich habe dann eben eine neue Frisur. Eine, für die ich mich ohne Krebs nie getraut hätte. Und: ich kann mit Tüchern, Mützen, mit verschiedenen Farben spielen. Oder einfach „oben ohne“ bleiben :-). Aber eine künstliche Perrücke möchte ich nicht.
Meine Nachbarin im Zimmer bei der Therapie hatte sogar nach der 5. Chemo noch ihre Augenbrauen und Wimpern. Die sind nicht ausgefallen. Das ist ja klasse. So sieht niemand, dass du Chemotherapie bekommst und „krank“ bist. Du wirst nicht so sehr mitleidig angesehen im Supermarkt o.ä. Ja. Ich trage im Supermarkt oder beim Arzt einen Mundschutz, aber das heißt ja nicht dass es Tumor ist, kann Erkältung sein etc.
Nun, ich bin gespannt, was wann ausfällt, wie es sich anfühlt – es macht ja was mit mir – das erste mal in meinem Leben ohne Haare. (Anmerkung: Also ich weiß nicht, ob ich als Baby Haare hatte. Habe keine Fotos mehr.)
Vielleicht stelle ich mir dann vor, ich sei Nonne in einem Buddhistischen Kloster ;-). Das bringt mich wieder dahin, dass ich eigentlich wieder mehr meditieren könnte. Auch ein guter Gedanke.
Tag 21 der ersten Reise: es ist soweit.
Am Vormittag dachte ich, ich könnte meine Haare trotz Chemo noch retten und habe angefangen, meine große Dread – also ich könnte sie auch Filz nennen – herauszukämmen mit einen sogenannten Harrentwirrer. Eine sehr geniale Erfindung um mit dieser speziellen Bürste lange Haare ohne Schmerzen zu kämmen. Nach 20 Minuten kämmen hatte ich das Gefühl, daß nicht viel passiert, gehe zum Spiegel und – oh, die ersten kahlen Stellen auf der Kopfhaut. Was mache ich denn jetzt ? Die ausgefallenen Haare wurden von den noch intakten Haaren gehalten in meiner Dread. Dadurch sind sich nicht heruntergefallen. 😉 Aber, was vorher war: die Kopfhaut hatte mir in den letzten Tagen sehr weh getan und gejuckt. Ich habe mich schon gewundert, und sogar danach gesenht, dass ich sie abschneide. Denn das war sehr unangenehm.
Es war Sonntag, Frisöre haben bekanntlich sonntags nicht auf, jemand Privates kenne ich nicht, Freunde sind mit der Familie beschäftigt am Sonntag, die möchte ich nicht stören.
Ich musste früher einigen meiner Meerschweinchen immer die Haare sdchneiden. 🙂 so hatte ich immer noch meine Haarschere. Ja, als meine Haare lang waren, ohne Dread, habe ich sie eh nur noch selber geschnitten. Ich war schon Jahre nicht mehr beim Frisör. So habe ich meine Scheere geschnappt und los. Es kamen ein paar Tränen. Ich sage zu mir: „Nein, Feli, weine jetzt nicht, schneide erstmal eweiter, denn die Kopfhaut schmerzt. Weinen kannst du danach“.
Ok zusammengerissen und weiter geschnitten. Der Vorteil meiner Dread: Die Haare sind nicht durch ganze Badezimmer gefallen. Sie hängem ja zusammen 😉 Ich hatte dann ein großes Haarbüschel in der Hand. Dann durften erstmal die Tränen kommen. Ein emotionaler Moment. Was ist los?
Welche Gedanken schnellen durch meinen Kopf, nein durch meinen Körper??
🗯 „Es ist „amtlich“, „ich habe Krebs“, „jetzt kann es jeder sehen“, …
🗯 „Ich will das nicht haben“, „Ich möchte mich mit Händen und Füßen dagegen wehren“, …
Ok, erstmal wieder fangen und in den Spiegel sehen. Oh, da sind noch so viele kurze Haarbüschel. Meinen Rasierer habe ich im Wohnwagen. Was mache ich jetzt? Die Kopfhaut schmerzt bei Berührung, wenn die kurzen Härchen bewegt werden. Ich laufe ins Bad meiner Freunde, die ja noch gar nicht hier sind, und suche bei denen in den Schränken. Jep ein Naßrasierer mit Ersatzklingen. Hm. kann ich den einfach nehmen? Kurz überlege ich. Aber ich muss. Denn die restlichen Stoppeln müsssen ab. Ich nehme den Rasierer und gehe wieder in „mein“ Bad. Schampoo drauf, Kopf über die Duschwanne und los. Es braucht Geduld. Aber es geht. Der Rasierer ist von guter Qualität. Er verletzt nicht meine Kopfhaut. Nach ca einer halben Stunde war ich dann soweit. Fühlt sich gut an.
Jetzt creme ich meine Kopfhaut erstmal mit der guten Calendula – Creme für Baby und Kind von W… ein, damit sie sich beruhigen kann. Ein ganz neues Gefühl. Hand aufs Herz: wer kann denn schon über die Kopfhaut streichen?? Da muss ich erst mitte 50 werden, um dann mal meine Kopfhaut im Ganzen fühlen zu können. Eigentlich ein schönes Gefühl.
Sie fühlt sich ganz anders an als die Haut am Körper. Weich, etwas fettig. Auch wenn ich seit den Wechseljahren kaum noch fettige Haare hatte. Die Kopfhaut produziert immer noch mehr Talg als die übrige Haut.
Hier geht es weiter zu meinem Chemo – Tagebuch.
Seelenfutter nötig?
Es ist schon krass. Die Haare sind weg. Dieser Tag ist der Tag vor der zweiten Reise. So habe ich gefastet. Es gibt wohl Studien, die belegen, dass der Körper die Medikamente besser annimmt, wenn man vorher ein bis zwei Tage fastet. Nach dem Entzug nimmt sich der Körper wohl, so viel wie möglich aus der Nahrung, was er bekommen kann – vl ähnlich wie bei der Wim Hoff Atmung.
Also, Tag vor den nächsten Chemo, ich faste. Dann muss ich die Haare entfernen. Jetzt habe ich große Lust auf eine große Portion Fritten mit Majo!!!!! Unten im Ort gibt es gute Fritten. Die Zeit ist reif für einen Gassigang. Ich gehe raus, nehme Geld mit. Mit den Hundis vor der Tür überlege ich kurz:
Gehe ich runter ins Dorf und esse Fritten, oder gehe auf das Feld hoch in die Sonne? Ich überwinde mich, gehe auf das Feld in die Sonne. Wow. Ich bin stoz auf mich. Und es hat gut getan. Sonne tanken, Licht tanken. Mit einem neuen Lebensgefühl:
❤️ Ich habe Kraft, ich lasse mich auf diesen neuen Abschnitt ein.
❤️ Ich brauchte kein Seelenfutter. Meine Seele wollte die Fritten um die Gefühle wegzudrängen. Ich habe es ohne geschafft 🙂
Wieder zuhause, schaue ich immer mal in den Spiegel. Es ist schon krass. Ich sehe mein Gesicht. Pur. Ohne Schnickschnack. Ich kann aber noch nicht so lange hinsehen. Aber auch darauf möchte ich mich einlassen. Es kommt der Tag, an dem ich mein Gesicht ganz genau ansehe. Darüber berichte ich dann auch wieder.
Was klasse ist: ich habe immer noch Augenbrauen und Wimpern. Und ich hoffe, sie bleiben, wie bei meiner Zimmernachberin. Ich weiss auch nicht, ob ich mich schminken würde. (Anm.: Ich habe mich in keinem Leben vielleicht 3 mal sehr sparsam geschminkt: für Auftritte auf einer Bühne, damit ich im Scheinwerferlicht nicht so blaß bin. Sonst nie!)
Mit Augenbrauen und Wimpern sehe ich nicht so krank aus, ich fühle mich nicht so sehr krank. Denn das ganze ist für ich keine Krankheit – es ist ein Prozeß in dem ich ganz viel lernen darf.
Wie ich über „Krankheit“ denke könnt ihr hier lesen: (Link folgt)
Ich wünsche euch allen Frieden, Gelassenheit, Mut und Gesundheit! Feli.
Ich bins, Feli. Ich schreibe jetzt mal selber einen Kommentar. Denn so fällt das, was ich hier schreibe, mehr auf. Denn ich finde das hier gerade sehr wichrig:
Das Gesicht ist pur. Keine Haare, die ablenken vom Gesicht. Das ist immer noch neu, ich brauche immer mal wieder ein bisschen Überwindung, mich im Spiegel genauer anzusehen. Ja, ich sehe MEIN GESICHT 🙂
Lange Jahre habe ich mein Gesicht versteckt. Ich fand auch nie wirklich, dass es schön war. Es gibt Menschen, die – egal welche Kleidung sie anhaben, welche Haare, welche Frisur, Mützen, … immer gut aussehen. Seien wir mal ehrlich: sind wier da nicht alle ein wenig neidisch?
Ja, das kommt von innen. Die Ausstrahlung. Die Strahlung aus dem Körper aus der Seele heraus.
Jetzt möchte ich so lange an mir „arbeiten“, bis ich mein Gesicht, meine Ausstrahlung hübsch finde, will sagen: bis mein Gesicht positiv ist, bis meine Ausstrahlung positiv ist.
GESICHT PUR – DAS IST DIE CHANCE.